Nellie Bly – in 72 Tagen um die Welt

Nellie Bly, eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen, überflügelt Jules Vernes Romanheld und umrundet die Welt in nur 72 Tagen – und das in einer Zeit, in der es Frauen untersagt ist, allein zu reisen. Getrieben von Ehrgeiz und Sehnsucht schafft es Nellie, zur international be- und anerkannten Journalistin zu werden und legt einen weiteren Meilenstein für die Selbstständigkeit von Frauen.   


Der erste Schritt muss getan, nicht geträumt werden

Es ist nun schon der zweite Spätherbst, in dem ich wehmütig auf das Jahr zurückblicke. Es vergingen bereits zwei Frühlinge und zwei Sommer, in denen ich meiner Reiseleidenschaft nicht nachgehen konnte. Ja, selbstverständlich ist das Reisen in Zeiten der Pandemie nicht verboten, aber irgendwie, muss ich gestehen, wirkt es auch wenig motivierend, den Rucksack zu packen und loszuziehen. Die Angst hätte ich sprichwörtlich mit im Gepäck.

Also beschäftige ich mich schon eine ganze Weile damit, vom Reisen zu träumen. Immer häufiger frage ich mich jedoch, wie lange ich mich noch mit dem Träumen über schlechte Zeiten hinwegtrösten will und kann. Das Fernweh sitzt mir im Nacken und dabei geht es nicht nur darum, mir irgendwo weit oben im schroffen Norden an den britischen Küsten eine Brise um die Nase wehen zu lassen, sondern um das Reisen selbst – den Weg, auf den man sich begibt, all die Eindrücke, neuen Erfahrungen und Empfindungen, die mit dem Unterwegssein einhergehen.

Das Reisen, egal wohin, hat mir immer wieder vermittelt, dass ich, wenn ich es nur will, einfach einen Schritt tun muss, um voranzukommen, um neue Wege zu gehen, um Veränderung zu bewirken – um in Bewegung zu bleiben und nicht zu erstarren bzw. mich im Kreis zu drehen.


Energie, die richtig eingesetzt wird, kann alles erreichen.

Nellie Bly

Nellie träumte auch immer vom Reisen, von der Möglichkeit, am anderen Ende der Welt zu sein. Nellie Bly ist das Pseudonym der US-amerikanischen Journalistin Elizabeth Jane Cochran, die am 5. Mai 1864 in Cochran´s Mills, Pennsylvania, als eines von dreizehn Kindern geboren wurde. Nellies Geschichte ist die gleiche wie die vieler Frauen des neunzehnten Jahrhunderts.

Als Mädchen geboren, war ihr Weg gezeichnet von stetem Mangel an allem: Möglichkeiten, Bildung, Selbstverwirklichung, eigenem Willen und Bedürfnissen. Woran es Nellie jedoch – trotz der ärmlichen Verhältnisse oder vielleicht gerade darum – nicht mangelte, war ein unerschütterlicher Mut und die Einstellung, dass man, wenn man seine Energie nur richtig einsetzt, alles erreichen kann.

Mit fünfzehn Jahren begann sie die Ausbildung zur Lehrerin. Ihre Mutter konnte sich letztlich jedoch nur ein Semester leisten, sodass sie sich mit Hilfsarbeiten das Leben finanzieren mussten. Die großen Träume vom besseren und freien Leben waren weit in die Ferne gerutscht und die Vorstellung, unterwegs zu sein, um die Welt zu bereisen, schien geradezu lächerlich.

Ein mutiger Leserbrief, der alles veränderte

Nellie Bly

1884. Nellie ist gerade 20 Jahre alt, als in der regionalen Tageszeitung wieder einmal ein durch und durch konservativer und diskriminierender Artikel über Frauen, von einem männlichen Journalisten »recherchiert«, abgedruckt wurde. Ich stelle mir vor, dass Nellie beim Lesen einfach der Kragen geplatzt ist, dass sie die Zeitung auf den Tisch schlug und laut schrie: »Jetzt reicht’s!« Sie verfasste einen ehrlichen, mutigen und geradezu aufmüpfigen Leserbrief an die Redaktion. Zu ihrem eigenen Schutz schrieb sie ihn unter einem Pseudonym – aber unter einem weiblichen.

Der Chefredakteur war nicht nur von den Worten, dem Mut und der Direktheit, sondern auch von ihrer Art zu schreiben so begeistert, dass er sie ausfindig machen ließ und ihr einen Job als Journalistin anbot. Nellies Lohn lag natürlich weit unter dem ihrer männlichen Kollegen, und die Themen, die sie als Journalistin bearbeiten durfte, waren klar begrenzt: Mode, Gärtnerei, Gesellschaftsnachrichten und Kunst.

Ein ganzes Jahr quälte sich Nellie durch ihre Aufträge, die sie persönlich für wenig berichterstattenswert hielt. Schließlich verließ sie die Zeitung, um vorerst nach Mexiko zu gehen und dort zu arbeiten. 1887 zog Nellie letztlich nach New York und fand dort auch nach mehreren Monaten endlich wieder einen Job bei der Zeitung. Ihr erster wirklich wichtiger Auftrag, der nicht nur umfassend sein sollte, sondern auch etwas würde bewegen können, hätte wohl die meisten von uns selbst heute noch in die Flucht geschlagen und den Mut zur Weiterarbeit genommen.

Undercover in der psychiatrischen Anstalt

Nellies Durchbruch als anerkannte Journalistin basierte auf ihrer Reportage aus der psychiatrischen Anstalt auf Blackwell´s Island. Ohne zu zögern ließ sie sich undercover als Patientin einweisen und durchlebte all die furchtbaren Zustände und Behandlungen, um diese endlich ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Fortan schrieb sie hauptsächlich über gesellschaftskritische Themen wie die Zustände der Dienstmädchen in New York, über Frauen in Papierfabriken und Arbeitsrechtler, die inhaftiert worden sind, sowie über den Korruptionsskandal im New Yorker Parlament. Nellie bekam ihre Aufträge nicht nur wegen ihres Talents, sondern allem voran wohl eher aus dem Grund, dass sie bereit war, viel mehr zu geben und zu riskieren, um als Frau weiterhin eine anerkannte Journalistin zu bleiben.

Nellie war gerade mal fünfundzwanzig Jahre alt, als sie über solch wichtige und bewegende Themen berichtete. Ihr Traum vom Reisen, am anderen Ende der Welt zu sein, blieb jedoch bestehen, und sie wurde nicht müde, ihrer Redaktion immer wieder einen Reisebericht im Stil des Romanhelden Phileas Fogg aus Jules Vernes weltberühmtem Roman vorzuschlagen.

Wer braucht schon 80 Tage um die Welt?

Nach unzähligen Diskussionen mit ihrer Redaktion bekam Nellie letztlich doch die Erlaubnis, allein um die Welt zu reisen. In 72 Tagen um die Welt: Das war ihr Ziel. Ich habe mich schon häufiger gefragt, warum Nellie aus ihren Reiseträumen einen Wettbewerb mit dem Romanhelden aus »In 80 Tagen um die Welt« gemacht hat, aber wenn ich es mir so recht überlege, war das wohl die einzige Möglichkeit für eine weibliche Journalistin in dieser Zeit, um auf die Reise gehen zu dürfen.

Nellie Bly umrundet die Welt in nur 72 Tagen

Von Medienrummel begleitet startete Nellie Bly am 14. November 1889 ihre Reise ans andere Ende der Welt. Gern würde ich Nellie fragen, was letztlich überwogen hat, diese wirklich schwere und – ich mag es mir nicht vorstellen – unhygienische Reise zu tun: der Wille zu beweisen, dass sie es als Frau ganz allein schafft, oder die Sehnsucht, auf Reisen zu gehen.

Nellie hielt ihr Versprechen und traf am 25. Januar 1890 nach einer strapaziösen, aber erfahrungsreichen Reise wieder in New York ein. Auf ihrem Stopp in Nordfrankreich traf sie am Bahnhof den Mann, dessen Romanheld sie hatte zu genau dieser Reise motiviert – Jules Verne. Es war bestimmt ein interessantes Gespräch: Der eine träumte vom Reisen und die andere tat es. Nach diesem Bravourstück war Nellie Bly eine kleine Berühmtheit, und dies verschaffte ihr eine nie gekannte Freiheit und endlich ein anständiges Gehalt, das sie und ihre Mutter für mehrere Jahre versorgte.

Nun, ich denke, eine Reise um die Welt in nur 72 Tagen wäre auf gar keinen Fall etwas für mich – das ist eher eine schreckliche Vorstellung –, aber den Mut, seinen Sehnsüchten zu folgen, inspiriert mich zutiefst. Man hat nicht immer alles in der Hand und manchmal sind die Zeiten für bestimmte Dinge wirklich eher beschi… – so wie im neunzehnten Jahrhundert als Frau allein und heute in Zeiten der Pandemie überhaupt zu reisen, aber im kommenden Jahr werde ich einen ersten Schritt tun … denn es geht immer weiter.

Vielleicht hätte Nellie gesagt …

Hätte ich die Gelegenheit, Nellie zu fragen, was sie in unseren Abenteurerinnen-Koffer packen würde, so könnte ich mir vorstellen, dass sie vielleicht das Folgende gesagt hätte:

»Ich packe unseren Koffer und nehme mit: eine große Portion Ehrgeiz, damit jede Abenteurerin die Möglichkeit hat, ihre Wünsche auch in die Tat umzusetzen.«


Illustrationen: © Mariann Rose

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