Jocelyn B. Smith – Sängerin, Pianistin, Vorbild, Chorleiterin, Dozentin, Inspiration, Visionärin, Coachin, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, Vereinsvorsitzende, Ehrenamtliche, Mutter, Frau, Partnerin: die Liste ließe sich vermutlich noch um zahlreiche treffende Bezeichnungen ergänzen. Allen gemein ist jedoch eines – Jocelyn ist eine beeindruckende, mitreißende Persönlichkeit mit so vielen verschiedenen Facetten, dass ein Interview nur einen miniwinziglichen Bruchteil ihrer Geschichte und das, was sie zu sagen hat, beleuchten kann. Ich versuch’s trotzdem.
Eine Frau mit bleibendem Eindruck
Mittlerweile liegt es schon einige Monate zurück, dass meine Kolleginnen und ich beschlossen hatten, die Idee der Gilde der Abenteurerinnen Wirklichkeit werden zu lassen – ein Magazin von Frauen für Frauen, wie wunderbar. Für mich war sofort klar: Das Ressort »Musik« ist meins, meins, meins! Bis zum Launch war noch unendlich viel zu planen und umzusetzen, was jedoch die ganze Zeit so in mir herumwaberte, war die Überlegung, wer meine erste Interviewpartnerin sein sollte. Welche Frau würde den hoffentlich unendlichen Reigen der vielschichtigen Persönlichkeiten und ihrer spannenden Geschichten rund um eines der schönsten Themen, die man sich so vorstellen kann – der Musik – eröffnen?
Das erste Mal gesehen hatte ich Jocelyn 2019 auf einer Presseveranstaltung in Berlin, zu der ich eingeladen war, um für ein Musikmagazin über den Start einer Initiative zu berichten, die Jocelyn B. Smith zusammen mit ihren Student:innen ins Leben gerufen hatte, »Songs of Substance«. Nach dem üblichen Begrüßungsgeschnödel durchschritt sie – eine passendere Beschreibung gibt es hier tatsächlich nicht – den Saal des Roten Rathauses, stellte sich auf die Bühne und richtete ihre eindringlichen wie ergreifenden Worte an das Publikum. BÄÄÄÄMM! Verschwunden war meine Unsicherheit, wer die Richtige sein könnte: Sie, siiiiiie muss es sein!
Da saß ich nun. In meinem Auto. Auf dem Weg zu der Stimme, die mich schon als Kind auf dem »König der Löwen«-Soundtrack zum Heulen gebracht hatte. Wie cool ist das denn bitte?! Zum Glück ist das ja für mich üüüberhaupt kein Grund, aufgeregt zu sein, nein, nein. Ich schleiche also durch Berlin, schlängele mich durch enge Straßen und finde die Adresse auf Anhieb. Denn Jocelyn trifft sich mit mir bei sich zu Hause. Ich wiederhole mich ungern, aber: Wie cool ist das denn bitte?! Ich atme nochmal tief durch und drücke auf die Klingel. Kurzes Gerumpel, Hundebellen, Schlurfschritte. Mit Blick auf ihre puscheligen Engelshausschuhe mit Flügeln (!) und ihr wildes Herumgefuchtel, ich solle ihr doch folgen, verfliegt meine Nervosität und ich fühle mich augenblicklich wohl.

Jocelyn B. Smith präsentiert ihre Engelsflügelhausschühchen
Knapp drei Stunden waren wir in unser Gespräch vertieft, das mir eher wie eine Unterhaltung mit einer Freundin in Erinnerung bleiben wird, als ein vorgezeichnetes Interview mit einer berühmten Künstlerin. Es war eine wirkliche Herausforderung, aus all den bewegenden, lustigen und informativen Erzählungen keinen Roman, sondern einen überschaubaren Artikel als Porträt einer Powerfrau – einer echten Abenteurerin – zu machen.
Jocelyn B. Smith – ihr Leben, ihre Erfolge, ihre Einflüsse
Jocelyns Kindheit in New York
Jocelyn B. Smith wuchs in Queens, New York, auf und lebt seit den 80er-Jahren in Berlin. Seit ihrer Kindheit wird sie von der Musik begleitet – ob im Kirchenchor der Gemeinde, beim klassischen Klavierunterricht oder beim Hören der Jazz- und R&B-Platten ihrer Eltern. Als Tochter einer schwarzen Middle-Class-Familie lernte sie früh, sich zu behaupten und ihre eigenen Wege zu gehen. Egal, ob sie sich gegen die Jungs ihrer Straße beim amerikanischen Handball oder beim Skully durchsetzte, sie brauchte immer Action und liebte es, selbst anzupacken und Dinge mit ihren Händen zu erschaffen. Heute, mit über 60 Jahren, hat sich daran nichts geändert: Sie blickt auf mehr als 3.000 Live-Konzerte zurück, arbeitete mit unzähligen anderen Berühmtheiten wie Falco, Til Brönner oder Alphaville.
Bemerkenswerte musikalische Erfolge
1995 wurde sie mit dem Golden Record Award für den Titelsong aus »König der Löwen« geehrt. Drei Jahre später erhielt sie den Jazz Award der International Federation of the Phonographic Industry für ihr Album »Blue Lights and Nylons«, einer Hommage an George Gershwin und Kurt Weill. Als sich die Anschläge vom 11. September zum zehnten Mal jährten, berührte sie Millionen Menschen mit ihrer Interpretation von »Amazing Grace« am Brandenburger Tor, die Gedenkfeier wurde weltweit übertragen. Es folgten zahlreiche weitere Platten, auf denen sie immer wieder andere Facetten ihrer gewaltigen Soulstimme zum Vorschein bringt. Mit ihrem aktuellen Album »Shine Ur Light« verknüpft sie eine klare Botschaft:
Wir vergeuden viel zu viel Zeit, uns mit Dingen von außen zu beschäftigen, anstatt der wirklich notwendigen Selbstreflexion.
Auf die Antworten auf zwei eher untypische Interviewfragen freute ich mich schon seit meiner ersten Begegnung mit Jocelyn. Meist reden und schreiben wir über die Musik der Künstlerin selbst, die wir Zuhörenden mit irgendeiner persönlichen Geschichte verbinden – der erste Kuss oder der eine bahnbrechende Discobesuch –, aber selten erfahren wir etwas darüber, welche Musik es ist, die die Künstlerin selbst genauso geprägt haben wie uns ihre Songs.
Songs, die Jocelyn am stärksten geprägt haben
Mit »Chariots of Fire« von Vangelis verbindet sie eine ganz persönliche Geschichte: Ihre Schwester bereitete sich zu der Zeit, als der gleichnamige Film (Dt. Originaltitel: »Die Stunde des Siegers«) die Kinos eroberte, auf die Olympischen Spiele vor. Sie verletzte sich jedoch und konnte ihren Traum vom Siegessprint nicht wahr machen. Jocelyn brauchte viele Jahre, um den Song ohne Tränen hören zu können, bekommt nach wie vor Gänsehaut und mag vor allem das Freiheitsgefühl, das die Musik trotzdem in ihr auslöst. Wirkliche Verehrung empfindet sie allerdings für Barbra Streisand – »Papa, can you here me« aus dem Film »Yentl« und »Being alive« haben sie so sehr beeindruckt, dass sie sie auch schon selbst performt hat. Eine solche Ikone zu verkörpern und ihre Songs zu singen, war für Jocelyn eine herausfordernde und unvergessliche Erfahrung. An Stevie Wonder bewundert sie vor allem seine tiefgründigen und berührenden Texte – ihr Lieblingssong von ihm: »All in love is fair«.
Drei Musikerinnen, die Jocelyn zum Essen einladen würde
Ein hot dinner würde es werden, wenn Jocelyn folgende Künstlerinnen zum Essen einladen könnte, um mit ihnen über ihr Leben und Musik zu philosophieren: Nina Simone, eine begnadete Klassik- und Jazzpianistin, die sich in den 60er-Jahren über ihre Musik für die Bürgerrechte der schwarzen Bevölkerung eingesetzt hatte. Whitney Houston, die als Sängerin und Schauspielerin weltweit ein Millionenpublikum begeisterte und mit ihrem Stil und ihrer unverwechselbaren Stimme viele Musikerinnen beeinflusste. Alicia Keys, die einzig noch lebende Künstlerin am Tisch, die sowohl mit ihrer einzigartigen Soulstimme als auch am Piano, als Songwriterin und Schauspielerin überzeugt.
Jocelyn B. Smith – ihre Motivation, Lehrtätigkeit und Coaching
In dir muss brennen, was du in anderen bewegen willst
Die Motivation, Menschen zu helfen und ihnen etwas beizubringen, sie dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu finden, wurde bereits in frühen Jahren durch die Arbeit ihrer Großmutter angeregt. In einer Zeit, in der es für Frauen enorm schwierig war, etwas Eigenes aufzubauen, gründete sie 1950 die erste Hilfseinrichtung für Menschen mit psychischen Problemen in Brooklyn. Jocelyns Weg, Menschen zu helfen, ihnen etwas beizubringen und sie zu unterstützen, war und ist schon immer die Musik. Diese Berufung setzt sie unter anderem als Dozentin und Coachin um.
So arbeitete Jocelyn unter anderem als Lehrbeauftragte für Gesang und Ensemble an der Hochschule der Populären Künste in Berlin. Voller Inbrunst berichtet sie mir, wie erfüllend und bereichernd sie es beispielsweise empfand, mit den Studierenden über Songtexte zu diskutieren, über die Rolle der Musik in der Gesellschaft oder über das Komponieren als Mittel der Selbstreflexion.
Im Bereich des Coachings legt Joceyln ihren Schwerpunkt hauptsächlich auf die Arbeit mit Frauen. Sie hat verschiedene Formate entwickelt, mit denen sie ihre Teilnehmenden darin bestärkt, ihr Potenzial zu entdecken, sich selbst zu verwirklichen und resilienter durchs Leben zu gehen – durch die Kraft der eigenen Stimme und mithilfe von Gesang.
Ich schenke den Menschen die Fähigkeit, ihre Stimme zu finden, um ihre Ziele zu formulieren, helfe ihnen, Herausforderungen und Rückschläge durchzustehen und Zweifel als Türen für neue Chancen zu sehen.
Der Motor, der Jocelyn bei alldem antreibt, ist die Gewissheit, alles schaffen zu können, denn trotz vieler Hürden, setzte sie sich durch und ging ihren eigenen Weg. Mit zunehmender Lebenserfahrung und Reife hat sie jedoch erkannt, dass sie nicht allein auf weiter Flur ist, dass sie nicht alles allein schaffen muss, sondern Menschen um sich herum hat, die auch sie bekräftigen und bei denen sie sich anlehnen kann.
Im Gespräch erzählt sie mir, wie dankbar sie dafür ist, in der heutigen Zeit leben zu können, als freie Frau, die keine Erlaubnis für irgendetwas braucht, sondern das tun kann, was sie wirklich möchte und wofür sie sich berufen fühlt. Sie ist dankbar dafür, dass Frauen hierzulande nicht mehr diese extremen Hürden nehmen müssen wie noch vor 50 Jahren; dankbar dafür, frei darin zu sein, zu singen und zu unterrichten, was ihr Herz ihr sagt.
Jocelyn B. Smith – ihre Denkanstöße, Initiativen und Botschaften
Jocelyns Engagement für mehr Menschlichkeit
Sich für die Menschen zu engagieren, ihnen etwas zurückzugeben und sie ein Stück ihres Weges zu begleiten, ist für Jocelyn nicht nur der Inbegriff von Menschlichkeit, sondern auch ein inneres Bedürfnis, das ihr Leben mit Sinn erfüllt. So leitet sie beispielsweise den Laienchor »Different Voices of Berlin« in Kreuzberg als Teil eines Projektes gegen Armut und soziale Ausgrenzung von Obdachlosen und gibt ehrenamtlich Gesangsunterricht. Ebenso unterstützt sie das Aktionsbündnis Landmine.de mit ihrem Musikprojekt »Higher Love: Kinder singen für Kinder«; im Zusammenhang damit gründete sie 2008 den gemeinnützigen »Yes we can e. V.«, der sich für den nachhaltigen Schutz und die Hilfe für Kriegsopferkinder einsetzt, und dessen Vorsitzende sie ist.
Die ungeahnten Kräfte von Worten
Ein weiterer Baustein ihres Engagements sind die Initiativen »Shine a light« – ein musikalischer Appell und Weckruf für mehr Menschlichkeit und Toleranz – sowie »Songs of Substance«.
Wir müssen etwas sorgfältiger darauf achten, WAS wir machen und für WEN. Die Worte, die du singst, sind mit deinem Inneren verbunden; deshalb ist es so wichtig, darauf zu achten, WAS du singst.
»Songs of Substance« – was als Studienseminar begann, entwickelte sich durch die Diskussionen über reflektierendes und kreatives Komponieren und Texten bald zu einem eigenständigen und langfristigen Projekt. Es geht dabei nicht nur um die Frage, welche Werte die Künstlerinnen und Künstler vertreten und verbreiten wollen, sondern auch darum, etwas gegen die vorherrschenden männerdominierten Marketingstrategien zu unternehmen. Die Musikvideos sind nicht mehr länger als 2:50 Minuten – in diese knappe Zeit werden so viele Bilder wie möglich hineingequetscht, die verkaufen sollen. Also bestenfalls viel Körper, wenig Stoff. Jocelyns Anliegen ist es, dass die Musiker:innen wieder erkennen, was für ein Geschenk es ist, für andere zu singen und zu spielen – es kann so viele Menschen berühren, bestärken und Freude bringen.
Zur eingangs erwähnten Auftaktveranstaltung von »Songs of Substance« standen ausschließlich Frauen auf der Bühne – warum das so war, erklärt Jocelyn gern:
Das war mir sehr wichtig. Ich möchte prinzipiell mehr Frauen am Piano sehen, solo gibt es nur ganz wenige. Wenn du allein singst, nur von einem Instrument begleitet, singst du andere Texte. Frauen haben einfach etwas anderes zu sagen. Das wollte ich hören.
In all ihrem Tun und Wirken setzt sie ihre Stimme und ihre Musik dazu ein, für mehr Respekt, Humanität und Großmut einzustehen, sich auf das, was wirklich zählt, zurückzubesinnen und Angst und Hass zu besiegen. Das blieb auch an oberster Stelle nicht unbemerkt – Jocelyn B. Smith erhielt 2020 für ihr Engagement in der Hauptstadt den Verdienstorden des Landes Berlin. Doch nicht nur das: Bereits 2018 wurde sie von Bundespräsident Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Lachend erzählte sie mir, dass sie auch schon mit Angela Merkel zusammensaß, um über ihre Projekte zu sprechen, und sie gemeinsam versuchten, einen passenden deutschen Begriff für self-empowerment zu finden.
In meinem wunderbaren Gespräch mit Jocelyn haben wir trotz teilweise aufwühlender Themen viiiel gelacht, köstlichen Kaffee getrunken und uns die Sonne ins Gesicht scheinen lassen. Es ist genau dieser Eindruck von Bewegtheit, Mut, Hoffnung und einer positiven Einstellung zum Leben, der mich auf dem Nachhauseweg begleitet und mich wieder einmal darin bestärkt, wie wichtig es ist, unsere Meinung zu vertreten und dabei den Spaß an der ganzen Sache nicht zu vergessen.
Selbstverständlich habe ich Jocelyn darum gebeten, auch etwas in unseren Abenteuerinnen-Koffer zu legen:
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Fotografien: © Marlen Weller-Menzel