Stillstand: Vor vielen Monaten, als ich mich dazu entschloss, bei diesem Projekt, der Gründung eines Magazins von Frauen für Frauen, mitzumachen, hätte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können, dass wir so lange brauchen würden, bis wir endlich online gehen können. Aber wer hat schon damit gerechnet, dass ein Virus uns alle und dazu alles, was wir kennen, von jetzt auf gleich in eine Art Stillstand zwingen würde?!
Warum schreibe ich gerade zu diesem Thema in »Abenteuer Leben«?
Kennt ihr das? Ihr schlagt eine Zeitung auf, schaltet das Radio ein oder hört im Vorbeigehen einige Gesprächsfetzen – und überall geht es um Covid-19, um die Pandemie. Eigentlich kann ich das alles schon gar nicht mehr hören, und eigentlich wollte ich darüber in unserem Magazin auch ganz bestimmt nicht schreiben. Ich wollte hier über Abenteuer schreiben, über großartige Dinge, die euch zum Staunen und Nachdenken bringen, über die Gemeinschaft und das Miteinander von tollen Frauen – und nicht darüber, dass all das gerade nicht möglich ist, weil ein Virus unsere ganze Art zu leben auf den Kopf gestellt hat.
Was hat mich also umgestimmt? Meine Arbeit außerhalb dieses Magazins hat sehr viel mit Menschen und deren Sorgen zu tun, ich bin psychologische Beraterin, Mediatorin und Trauerrednerin und helfe sehr oft in schweren Lebenskrisen. In meiner Arbeit ist es auch so, dass die Menschen über das reden, was sie beschäftigt, über Dinge, die ihnen Angst machen. Und in den vergangenen Monaten war das immer wieder die Frage: Wie soll es denn bloß weitergehen, was soll das alles noch werden? Diese Frage ängstigte die Menschen, denn es gibt irgendwie keine Antwort darauf. Oder doch?
Wie geht man mit der aktuellen Krise um?
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, aber sicher ist vor allem eines: Ich bin damit nicht allein, es betrifft nicht ausgewählte Personen, sondern uns alle – alle Menschen auf dieser Erde. Covid-19 ist etwas, das uns eint, etwas, das uns alle betrifft. Das Virus unterscheidet nicht nach Hautfarbe, ethnischer Herkunft, Religion, Weltansicht, Einkommen oder Aussehen.
Ja, die Auswirkungen, die die Pandemie auf uns und unsere etablierte Gesellschaft hat, sind weitreichend und belastend für uns alle. Es ist eine Situation, die uns alle fordert und überfordert – doch sie bietet auch Chancen.
Selten in der Geschichte der Menschheit waren wir alle Betroffene, waren wir alle Hilfesuchende, waren wir alle unsicher, fühlten uns hilflos und ausgeliefert. Auch wenn das seltsam klingen mag, doch genau darin liegt unsere größte Chance. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wann und ob das Coronavirus eingedämmt oder ganz ausgelöscht werden wird. Doch sicher ist eines: Das Leben wird weitergehen, wir müssen nur entscheiden, wie.
Und wenn es vielleicht auch eine Chance ist?
Genau in diesem »Wie« liegt unsere Chance auf Veränderung, und hierbei meine ich keinesfalls, dass wir die Entscheidung über das »Wie« einfach anderen überlassen sollten. Niemandem ist geholfen, wenn wir diese Verantwortung auf die Regierungen und Medien abschieben, denn wie wir in Zukunft miteinander umgehen und leben wollen, kann jede und jeder nur ganz individuell für sich entscheiden.
Viele Menschen haben gerade während des Lockdowns feststellen müssen, wie schwer das Leben ohne menschliche Nähe sein und dass gerade eine liebevolle Umarmung in schweren Zeiten so viel mehr geben kann als gut gemeinte Ratschläge. Sicher, wir haben all die sozialen Medien, über die wir miteinander in Kontakt treten und bleiben können, doch wirkliche Nähe, das Gefühl von Geborgenheit oder Gehaltenwerden können sie nicht ersetzen.
Ich finde es schade, dass erst eine weltweite Krise kommen musste, um in den Köpfen der Menschen Bewegung auszulösen. Dass in unserer Gesellschaft die Schere zwischen Arm und Reich, anerkannt und nicht anerkannt immer größer wurde, war jedem bekannt, und trotz alldem hat sich in der Gedankenwelt der Gesellschaft nichts verändert.
Covid-19 wirft uns auf uns selbst zurück, die Krise verschiebt Prioritäten, macht für uns sichtbar, was uns eigentlich wichtig ist, lässt uns innehalten und rekapitulieren, wie wir gerade leben, wonach wir unser Leben ausgerichtet haben.
Als Trauerrednerin habe ich viel mit dem Tod zu tun und war der festen Überzeugung, dass uns nur der Tod eines uns nahen Menschen wieder eine neue Richtung geben kann und uns über unser Leben wirklich bis in die Grundfeste nachdenken lässt. Doch wenn ich mich umsehe und mit Menschen spreche, stelle ich fest, dass das Coronavirus genau dasselbe vermag – und das, das betrachte ich als eine große Chance.
Was für ein Mensch möchte ich sein?
Ich denke allerdings nicht, dass diese Aussicht auf Veränderung etwas ist, das global oder territorial vorgegeben werden kann. Vielmehr glaube ich, dass die Chance auf Veränderung nur individuell umsetzbar ist. Es liegt in der Verantwortung eines jeden selbst, sich die sehr persönliche Frage zu stellen: »Was für ein Mensch möchte ich sein und wie möchte ich leben?«
Es ist eine Frage, die so einfach erscheint, und doch werde ich niemanden finden, der mir meine Antwort gibt. Sicherlich wird es Menschen geben, die mir eine Antwort geben können, und dies auch unaufgefordert tun werden, so wie in allen Bereichen des Lebens. Aber meine Antwort auf die Frage: »Was für ein Mensch möchte ich sein und wie will ich in Zukunft leben?«, kann nur ein Mensch mir geben: Und das bin ich selbst.
Daher glaube ich daran, dass, wenn jeder Mensch sich dieser Frage stellt, ehrlich und wahrhaftig nach seiner Antwort sucht und diese nicht aus Medien kopiert, die Zukunft ein wunderbarer, bunter und interessanter Ort werden kann.
Wir haben es in der Hand, wir sind es, die entscheiden, wie diese Zukunft wird. Wenn wir anfangen, diese Krise nicht nur als ein Ereignis zu betrachten, das uns Furcht, Getrenntsein und Einsamkeit lehrt, sondern als ein Ereignis, das uns vor allem anderen eine Chance auf Veränderung bietet, kann jede und jeder Einzelne wachsen – und mit ihr oder ihm auch unsere Gesellschaft.
Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.
In unserem Magazin schreiben wir über Frauen, die sich aus den unterschiedlichsten persönlichen, gesellschaftlichen oder historischen Anlässen ebenjene Frage, was für ein Mensch sie sein und wie sie leben möchten, gestellt haben. Und sie alle haben eine ganz individuelle Antwort darauf gefunden. Ich glaube, dass all diese Frauen eine Gemeinsamkeit haben: Sie alle waren mutig genug, für ihre Art zu leben, zu denken, zu lieben und zu sein einzutreten – und das, ohne den Respekt und die Rücksicht gegenüber anderen einzubüßen. Von ihnen lasse ich mich inspirieren, und ich vertraue darauf, dass aus dieser aktuellen Krise etwas Großartiges entstehen kann – eine Abenteuerreise, die uns in ganz neue und wunderbare Zeiten führt.