Greif nach den Sternen – Caroline Herschel


Caroline Lucretia Herschel – eine Frau, die bereits im achtzehnten Jahrhundert den Sternen fast zum Greifen nahekam. Für den Heiratsmarkt als zu hässlich und ungeeignet abgeschrieben, verschaffte ihr diese Diskriminierung jedoch damals den Weg in die wissenschaftliche Freiheit. Ihre Verdienste in der Astronomie sind den meisten zwar unbekannt, aber ohne ihren akribischen Fleiß, ihre Ausdauer und Genauigkeit würde die heutige Sternenkunde noch lange nicht so weit sein.  

Ich vermochte den Gedanken, dass ich ein Abigail [Aschenputtel] oder Hausmagd werden sollte, nicht zu ertragen.

Caroline Lucretia Herschel

Nur ein paar Tage vor der Sommersonnenwende habe ich Geburtstag – 2020, in einem Jahr, das gezeichnet ist von Ungewissheit und der Angst vor Veränderungen, die ich mir auch heute noch nicht in ihrem vollen Ausmaß vorstellen mag, habe ich meinen Neununddreißigsten gefeiert. Ich bin also doch schon eine Weile erwachsen – doch das Geburtstagsgeschenk meiner Frau lässt das Kind in mir wieder aufleben und mich die aktuellen Geschehnisse und Folgen des Weltgeschehens im Angesicht der Unendlichkeit des Universums vergessen.

Es ist ein Teleskop mit einer bis zu 100-fachen Vergrößerung, das ich an meinem Ehrentag auspacke. Ich bin nicht nur unendlich gerührt, sondern auch direkt in meine Kindheit zurückversetzt. Soweit meine Erinnerung zurückreicht, habe ich mir ein solches Gerät, das es mir ermöglicht, die Sterne zum Greifen nah zu sehen, gewünscht. Und als ich an diesem Abend das erste Mal in den Sternenhimmel blicke und zumindest den Mond finde, dessen Krater ich überdeutlich sehen kann, erscheint mir wieder alles möglich und die Probleme der Erde gar nicht mehr so riesig. 

Astronomie war eines meiner Lieblingsfächer in der Schule, auch wenn ich es leider nur in der 9. und 10. Klasse hatte. Die Stundenanzahl war so klein, dass es sich nicht einmal lohnt, sie zu benennen. Ich dachte immer, dass dieses Fachgebiet eine reine Männerdomäne sei, denn Gegenteiliges wurde mir in der Schule auch nicht vermittelt. Aber heute weiß ich, das stimmt so nicht. Eine Frau namens Caroline Lucretia Herschel war bereits im achtzehnten Jahrhundert nicht nur die weltweit erste bezahlte Astronomin, sondern auch die Entdeckerin mehrerer Kometen.  


Vom Nähen zum befreienden Singen 

Caroline Lucretia Herschel

Die am 16. März 1750 in Hannover geborene Caroline Herschel war die Tochter eines für die damalige Zeit sehr aufgeschlossenen Militärmusikers, der sie das Lesen und Schreiben lernen ließ und eine musikalische Grundausbildung für sie vorsah. Mütterlicherseits erfuhr die mit zehn Jahren an Typhus erkrankte Caroline, die dadurch aufgehört hatte zu wachsen, weder Beachtung noch Unterstützung. Wie so häufig gingen die Mütter davon aus, dass die Töchter das gleiche Leben wie sie selbst ertragen würden können. Wie normal für diese Zeit, sollte sie laut ihrer Mutter Näherin werden und keine weitere Ausbildung erhalten. Als Kleinwüchsige war die Aussicht, sie zu verheiraten, ohnehin erfolglos, also musste sie sich allein der schweren Hausarbeit und Näherei widmen.

Ihr Bruder ging mit der Besetzung Deutschlands nach Südengland und arbeitete dort als Organist und Konzertleiter. Er hatte wohl ein großes Herz für die Situation seiner Schwester und holte diese viele Jahre später, als sie eine junge Erwachsene war, ebenfalls nach England. Letztlich musste sie zwar des Bruders Haushalt führen, bekam aber von ihm eine Gesangsausbildung, um sich als Konzertsolistin zu verdienen, und durfte an seinen Freizeitwissenschaften wie Mathematik und Astronomie teilhaben. Sie hätte eine angesehene Sängerin und Chorleiterin werden können – aber die Astronomie hatte in ihr eine Leidenschaft erweckt, die sie bis dahin nicht kannte. Und so entschied sie, bei ihrem Bruder zu bleiben, denn das war die einzige Möglichkeit, sich als Frau den Wissenschaften zu widmen. 

Den Sternen auf der Spur

Neben der Theorieaneignung bestanden Carolines Aufgaben anfänglich in der Anfertigung von Spiegelfernrohren für die Beobachtungen ihres Bruders, der mit der zufälligen Entdeckung des Uranus einen Meilenstein in der Astronomie setzte und daraufhin als Astronom an das Königshaus berufen wurde. Dies bot für Caroline ebenfalls die einmalige Chance, ihrer Leidenschaft zu folgen und als offizielle Astronomie-Assistentin des Bruders am Hofe tätig zu sein. Als erste Frau erhielt sie für eine wissenschaftliche Tätigkeit ein Gehalt, wenn auch ein verschwindend geringes.

Caroline Lucretia Herschel greift nach den Sternen

Die neue Anstellung bot ihr ein nie gekanntes Mehr an Freiheiten – bis in die Morgendämmerung saß sie am Teleskop und Schreibtisch, um innerhalb von nur 10 Jahren acht Kometen und vierzehn Nebel zu entdecken, Hunderte zu berechnen und zu katalogisieren. In dieser Zeit schrieb sie außerdem für den Philosophical Transactions, eine wissenschaftliche Fachzeitschrift, verfasste einen Katalog für Sternenhaufen und Nebelflecke und ergänzte den Flamsteeds Atlas. Tja, wenn eine Frau einmal loslegt …

Trotz der Anerkennung, die sie mittlerweile erhielt, blieb sie, selbst gewählt, stets im Schatten ihres Bruders, auf den sie immer wieder als den eigentlichen Astronomie-Helden verwies. Zu groß und zu verankert war die Annahme, dass sie, als Frau, eigentlich nur für die Heirat und den Haushalt zuständig war. So verließ sie mit 72 Jahren, nach des Bruders Tod, den königlichen Hof und England, um in einem einfachen Haus in Hannover ihren Lebensabend zu verbringen. 

So viele Errungenschaften und doch fast unbekannt

Irgendwie ist es schon seltsam: Caroline Lucretia Herschel hat in Anbetracht ihrer Zeit Unglaubliches geleistet und entgegen der damaligen Verteilung von Ruhm und Ehre, wurde ihre Arbeit als Frau tatsächlich auch ein Stück weit anerkannt. So erhielt sie z. B. die Goldmedaille der Royal Astronomical Society, einige Straßen in Deutschland tragen ihren Namen, und es gibt ein Wissenschaftsprogramm für Frauen unter ihrem Namen. Trotz alledem kann ich hier mit gutem Gewissen sagen, dass außerhalb der astronomischen Fachkreise kein Mensch ihren Namen kennt.

Es wäre nun leicht zu schlussfolgern, dass dies allein auf ihre so häufig erwähnte Bescheidenheit zurückzuführen wäre, aber ist das auch so? Ich denke, sie war tatsächlich „bescheiden“, aber aus den falschen Gründen, und ich denke, dass einfach niemand die Geschichten von großen Frauen weitererzählt. Sie werden zwar kurz und knapp irgendwo aufgeschrieben, aber dann landen sie in irgendeinem Archiv und selbstverständlich im Keller – und nicht in der Ausleihe. 

Meine Begeisterung für die Astronomie war in der Schule wirklich groß, aber wenn ich gewusst hätte, dass es auch Frauen gab, an denen man sich orientieren könnte, ebenso wie an den Sternen, wer weiß? Vielleicht hätte mich das nochmal in eine ganz andere Richtung meiner Berufswahl geführt …

Vielleicht hätte Caroline gesagt …

Hätte ich die Gelegenheit, Caroline zu fragen, was sie in unseren Abenteurerinnen-Koffer packen würde, so könnte ich mir vorstellen, dass sie vielleicht das Folgende gesagt hätte: 

»Ich packe unseren Koffer und nehme mit: eine sternenklare Nacht, damit jede Abenteurerin die Möglichkeit hat, im Himmel die Grenzenlosigkeit zu erkennen.«


Illustrationen: © Mariann Rose

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