Backstage bei Birte Villnow – female vocal power aus Hamburg


Hamburg. Schon von Weitem erspähe ich ein strahlendes Gesicht, das zu einer dezent herumgestikulierenden Frau gehört, die halb aus einer Einfahrt lugt. Wie immer musste ich, trotz freundlich leitender Navigationsstimme, meine Interviewpartnerin nochmal anrufen, um genau zu fragen, wo ich sie finden würde. Orientierungssinn habe ich ganz offensichtlich nicht vererbt bekommen. Schade. Am Ziel angekommen, führt mich Birte Villnow, seit vielen Jahren Wahlhamburgerin, in ihr Studio, das in einem einladenden Hinterhof liegt (das KANN ja auch kein Mensch finden!). Andere würden sich nicht so anstellen, lacht sie – und schon ist das Eis gebrochen. Zudem schwebt bereits heimeliger Kaffeeduft durch den Raum. Läuft.

Birte Villnow entstammt einem Dorf in der Nähe von Wolfsburg. Die Lust auf Großstadt, ein Leben voller Möglichkeiten mit passender Infrastruktur dazu und der Ruf nach Freiheit führten die 35-Jährige nach Hamburg, wo sie heute zusammen mit ihrem Partner lebt. Birte ist Vocal Coach und Sängerin. Doch eigentlich sah am Anfang alles ganz anders aus … Ihre Eltern hätten sich »irgendwas Soziales« für sie vorstellen können, Kinderkrankenschwester wäre doch zum Beispiel nett gewesen. Also studierte Birte erst einmal Pädagogik – mit 23 hatte sie ein abgeschlossenes Studium in der Tasche und die Gewissheit, dass es das aber irgendwie noch nicht ist.

Schon in den Vorlesungen zur Geschichte der Pädagogik (gääääähn) hatte sie nur ihre Notensätze im Kopf, die sie dort heimlich geprobt hat. Auch ihre Freundinnen und Freunde wiesen sie darauf hin, dass sie mit ihrer Stimme doch eigentlich was ganz anderes machen sollte. Trotzdem kämpfte sie sich durchs Studium und fing auch an, pädagogisch zu arbeiten. Vieles, was sie damals sowohl an der Uni als auch im Job lernte, kommt ihr natürlich heute in ihrem eigenen Unterricht oder bei der Konzeptionierung von Workshops immer noch zugute. Nichtsdestotrotz wachte sie eines Morgens auf und wusste, dass etwas passieren musste.

Ich war 26 und fragte mich: Ist es das jetzt? Ach, du Scheiße!

Birte Villnow

Schon zu Beginn ihrer Zwanziger hatte sie die Idee, irgendwann nach Kopenhagen zu gehen, um Gesang zu studieren – wenn sie mal groß ist. Zu der Zeit aber hatte sie weder die finanziellen Mittel, eine solche Ausbildung zu machen, noch das Selbstvertrauen in sich und ihr Talent. Dafür geisterten ihr Weisheiten wie »Wenn man beruflich singt, geht einem die Lust und der Spaß daran total verloren!« im Kopf herum. Später wurde ihre innere Stimme jedoch immer lauter – so packte sie ihr Köfferchen und ging nach Dänemark, wo sie am Complete Vocal Institute berufsbegleitend ein Jahr Gesang studierte und weitere drei Jahre die didaktische Ausbildung zur autorisierten CVT-Lehrerin absolvierte. Irre, oder?

Heute sagt sie, ihre beste Entscheidung war es, damals alles auf eine Karte zu setzen und den alten Job wirklich gehen zu lassen.

Was macht denn nun aber ein Vocal Coach genau?

Was Birte als Vocal Coach so treibt, erklärt sie am besten selbst:

Eine typische Woche gliedert sich in Büro-, Proben- und Unterrichtstage. Vorwiegend arbeitet Birte mit Masterclasses – wobei jeweils eine Sängerin einzeln vor der Gruppe gecoacht wird, denn so lernen gleich alle voneinander. Aber auch Einzelcoachings oder Wochenend-Workshops gehören zu Birtes Angebot. Mehr Infos dazu findet ihr auf ihrer Homepage.

Wenn Birte aus ihrem Berufsalltag berichtet, spürt man, dass sie in ihrem Traumjob angekommen ist – sie liebt nicht nur die Arbeit mit den Menschen, sondern auch das, was sie damit erreichen kann. Und was sagt sie selbst? Was ist das Beste an ihrem Job?

Aaaaber auch bei ihr gibt es Situationen, die sie auf die Palme bringen können: wenn zum Beispiel jemand unvorbereitet zum Unterricht erscheint. Es sei eine Form von Respekt sich selbst und ihr gegenüber, seinen Kram zusammenzuhaben, sagt sie. Es gehe dabei um die innere Einstellung, wirklich etwas erreichen zu wollen und dafür auch etwas tun zu müssen. Sie betont aber gleich, dass das bei »ihren Sängerinnen« (So nennt sie ihre Schülerinnen mit verklärtem Blick) kein großes Thema sei.

Backstage bei Birte Villnow

Birte Villnow hat sich bewusst dazu entschieden, eine künstlerische Tätigkeit auszuüben, die eher im Hintergrund, also Backstage, stattfindet, denn sie wollte nie berühmt werden, hatte nie Sehnsucht nach der großen Bühne, wollte nie Interviews geben … Hm. Tja. Dazu fällt mir jetzt auch nichts ein.

Für Birte ist der direkte Kontakt sehr wichtig, denn sie ist ein totaler Beziehungsmensch, verrät sie mir. Auch deshalb sind ihre Gruppen so klein gewählt – sie bestehen meist aus sechs Frauen. Auch bei ihrem A-capella-Projekt, Applaus für die Perlen, sind sie als Walking Act ganz nah an den Kund:innen dran.

Was muss man mitbringen, um bei ihr Unterricht nehmen zu können?

Ziemlich coole Leute kommen zu ihr, die alle in irgendeiner Form aktiv Musik machen – wichtig ist Birte dabei nur, dass ihre Ambitionen ernsthaft sind; ob sie mit ihrer Stimme Geld verdienen oder nicht, spielt für sie keine Rolle. Prinzipiell gilt: all genders welcome, außer bei der female vocal school, die ganz speziell auf die Bedürfnisse von Frauenstimmen ausgelegt ist. Gerade das entspannte Miteinander in ihren Frauengruppen hebt sie besonders hervor: Es herrscht keine Konkurrenz untereinander, sie erlebt die Coachings als sehr wertfrei und unterstützend.

Birte Villnow in ihrem Studio

Birte Villnow in ihrem Studio in Hamburg

Natürlich wollte ich auch wissen – da kenne ich ja nüscht –, ob man denn als Vocal Coach ein zufriedenstellendes Einkommen hat: Jetzt seid ihr gespannt, was? War ich auch. Und ja, Birte verrät mir, dass sie mit ihrer Tätigkeit gut bis sehr gut leben kann. Das ist doch Bombe! Ich finde, das klingt einfach nur fantastisch: Coole, ambitionierte Leute treffen, zusammen singen und Neues entdecken, gut verdienen und strahlend durch die Gegend laufen. Hm, gleich muss ich jedoch erfahren, dass ich persönlich diesen Job aber vermutlich nicht ganz so einfach machen könnte (obwohl mir das auch wirklich ganz hervorragend stehen würde), denn ich lebe in keiner großen Stadt – Birte denkt, dass gerade das aber ein sehr wichtiger Punkt sein könnte, der zumindest den Weg in den Beruf erleichtert. In Hamburg beispielsweise gibt es eine aktive und große Kultur- und Musikszene, viele Bühnen, Singer/Songwriterinnen und, ganz wichtig, die verschiedensten Netzwerke.

Männerdominierte Musikbranche und Stimmgewirr

Dass die Musikbranche sehr männerdominiert ist, ist kein Geheimnis. Vielen Frauen fällt das aber gar nicht wirklich auf, weil es einfach normal ist und nie infrage gestellt wurde und wird. Das ging auch Birte früher so – sie hatte immer männliche Chor- oder Ensembleleiter, auf Hochzeiten im Freundeskreis spielten männliche Musiker, auch sie selbst »griff« immer nach Männern, wenn sie z. B. eine Begleitung am Klavier suchte. Das kam ihr auch nicht seltsam vor, denn sie hatte ja selbst entschieden. Erst später wurde sie auf diesen Missstand aufmerksam, insbesondere auch durch Diskussionen in der RAKETEREI, einer Community für Musikerinnen, wo dieses Thema eine große Rolle spielt. Sie las ganz viel dazu und fragte sich, warum das eigentlich so selbstverständlich für sie war. Jetzt sucht sie ganz bewusst nach Frauen, wenn sie einen Auftrag zu vergeben hat – sei es am Piano, als Visagistin oder Fotografin.

Netzwerken, netzwerken, netzwerken

Netzwerken wird ja irgendwie immer empfohlen, aber sind wir mal ehrlich: Das ist einfach nicht für jede was. So war es auch für Birte. Aber hört selbst:

Ihre Arbeit als Vocal Coach und autorisierte CVT-Lehrerin verlangt Birte – neben dem ganzen Spaß, den sie bringt – aber auch einiges ab. Sie muss hoch konzentriert sein und sich voll und ganz auf ihr Gegenüber einlassen, das ist mitunter ein sehr intensives Erleben. Zum Ausgleich geht sie gern an der Elbe spazieren oder ins Museum, verbringt Zeit mit Menschen, die sie gern hat oder lässt den Tag ganz entspannt in der Badewanne ausklingen. Diese Work-Life-Balance hilft ihr auch in Situationen, in denen mal nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Trifft sie auf Hindernisse oder muss Hürden überwinden, wird sie davon nicht aus der Bahn geworfen, neeee, viel eher spornen sie Widerstände an, etwas zu verbessern, neue Sachen auszuprobieren oder es schlicht und einfach das nächste Mal besser zu machen.

Vorbildfunktionen und ein Bierchen mit Ina Müller

Bei einer Frau, die fast durchgehend von Musik umgeben ist, interessiert mich natürlich auch, wer ihre Vorbilder sind, welche Songs sie geprägt haben oder welche Musikerinnen sie zum Essen einladen würde, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte. Und, was soll ich sagen? Ich bin hingerissen.

Tine Fries, eine dänische Sängerin aus der A-capella-Szene, hat sie schon sehr früh entdeckt und inspiriert– nicht nur wegen ihrer Stimme und Musik, sondern vor allem wegen ihres Selbstbewusstseins. Aber auch Beyoncé hat sie nachhaltig beeindruckt: zum einen gesanglich und zum anderen wegen der ganzen Empowerment-Maschinerie, die noch dahintersteht – was sie für Tänzerinnen auf die Bühne holt und wie laut sie dabei ist, findet Birte einfach nur genial. Sie mag generell laute Frauen sehr gern – hier reihen sich alle großen Diven ein. Und ein bisschen Diva-Sein ist ja irgendwie auch toll. Aus einem ganz anderen Genre kommt Eva Cassidy, die Birte auch sehr bewundert – sie hat einfach ihr Ding gemacht und war damals eine der Wenigen, die ein komplettes Album nur mit Coversongs aufgenommen hat. Leider verstarb sie mit 33 Jahren viel zu früh und wurde erst nach ihrem Tod wirklich bekannt. Anna Depenbusch, eine Hamburger Sängerin, würde sie gern mal zum Essen einladen und mit Ina Müller ein Bierchen trinken gehen. Klingt super, da geh ich mit.

Jugenderinnerungen und krasse Sounds

Nun aber zum wirklich, wirklich Wichtigen: »Uninvited« von Alanis Morissette ist das Lied, das es vermag, sie sofort wieder in ihre Teenagerzeit zurückzukatapultieren und sie immer noch tief bewegt. Uuuund es war auch der erste Song, den Birte solo performt hat. Wie cool ist das bitte? Ich nehm’s mal vorweg: Sehr cool! Unglaublich cool! Neidihiiiisch cool! Hier habe ich selbstverständlich gleich mal näher geforscht – wenn man schonmal eine Gesangslehrerin vor sich hat, sollte man diese Chance nicht leichtfertig vertun. Zum einen wollte ich wissen, was ich tun kann, um lauter zu singen – mir hat man zum Beispiel schon in der Grundschule immer gesagt, ich sänge viel, viel zu leise. Und die zweite Frage: Wie, bitte schön, kriegen die Alanisses dieser Welt es hin, so krasse Sounds zu produzieren, dass man das Gefühl hat, man stehe in einem stimmlichen Windkanal, sobald sie zum ersten Ton ansetzen? Birte erzählt’s euch:

Das klingt natürlich alles ganz fantastisch – was ist aber, wenn man denkt, man könne nicht singen? Birte ist überzeugt: »Das ist Quatsch! Klar braucht es Zeit und viel Übung, aber alles ist möglich. Einfach machen.« Wenn aber jemand wirklich noch gar keine Ahnung von Musik und Stimme hat, rät sie, sich als Erstes tatsächlich einen Vocal Coach zu suchen, der motiviert, nicht bewertet und das nötige Handwerkszeug dazu hat. Zusätzlich sei es sinnvoll, sich wirklich mit der Musik zu beschäftigen. Wie hören sich verschiedene Stimmen an, wie genau klingen sie? Welche Vokale benutzen die Sängerinnen, wie stehen sie auf der Bühne, welche körperliche Energie ist nötig? YouTube-Videos, Apps und Bücher können hier eine gute Unterstützung zum Gesangsunterricht sein.

Und noch eine letzte Frage wollte ich von der CVT-Fachfrau beantwortet wissen: Welche Hoffnungen hat Birte für die Musikbranche und welche hat sie vielleicht schon aufgegeben?

Ich habe die Hoffnung, dass die Gesellschaft versteht, dass Musik viel mehr Handwerk als Talent ist. Aufgegeben habe ich nichts – dazu bin ich nicht der Typ!

Birte Villnow – autorisierte CVT-Lehrerin

Und sonst so?

Birtes kleines – meines Erachtens ja raffiniert verstecktes – Studio in Hamburg, ihre Offenheit und sprühende Begeisterung werden mir lange in Erinnerung bleiben. Sie hat sich als würdige Abenteurerin erwiesen, die selbstverständlich etwas in unseren Koffer legen durfte:


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Birtes Homepage

Birtes Instagram-Kanal


Fotografien: © Marlen Weller-Menzel

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